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Der Baum des Lebens und die Spiegelung des Menschen

 

Bäume sind hervorragende symbolische Formen, mit derer Hilfe der Mensch sich selber spiegeln kann. Die Spiegelung als eine bildhafte Projektion der eigenen Persönlichkeit, sich im projizierten Bild selber zu beobachten, um das eigene Leben besser steuern und mit Sinn füllen zu können. Vergleicht man Bäume und Menschen und versucht man Ähnlichkeiten, von Beziehungen und Abhängigkeiten herauszuarbeiten, so ergibt sich meist ein Gemisch aus körperlichen , seelischen, geistigen, spirituellen, und sozialen Zusammenhängen, die sich nur schlecht voneinander trennen lassen. Der Baum als Lebewesen übernimmt seit Urzeiten die Rolle eines universalen Symbols, in dem der Mensch sich in unterschiedlichsten Lebenslagen und Bewusstseinsstufen wieder findet.



Gestalt und körperlicher Ausdruck

 

Menschen stehen ganz offensichtlich in einer ganz ursprünglichen Verbindung zu Bäumen. Diese Verbindung äußert sich in verschiedenen Bereichen: z. B. menschheitsgeschichtlich in den Darstellungen von Baumsymbolen in frühen Höhlenzeichnungen, im häufigen Vorkommen des Baummotivs in Kinderzeichnungen, mythologischen Erzählungen zur Erklärung der Welt (Weltbaum) und des Lebens der Menschen (Lebensbaum). Volkstümlich spielen die Bäume in vielen Bräuchen und Riten in allen Teilen der Welt eine große Rolle, deren Symbolik drehen, z. B. im Brauch, bei der Geburt eines Kindes einen Baum zu pflanzen, der dieses Kind zu Lebzeiten begleitet. Die Bevorzugung des Baum-Zeichens liegt in der Veranschaulichung sinnhafter Lebensprozesse. Bäume sind im Gegensatz zu Menschen fest verwurzelt und verbleiben stets in ihrer Art und ihrem jeweiligen Standort. Menschen dagegen sind fähig zu geistiger Bewusstheit und Selbstbeobachtung, die es ihnen möglich macht, sich individuell in räumlicher, sozialer und kultureller Hinsicht weiter zu entwickeln und zu verändern. ln ihrer Gestalt aber weisen sie eine Struktur-Ähnlichkeit auf, die es Menschen erlaubt, sich im Bild des Baumes zu betrachten, nämlich als lebendige Einheit von Wurzel, Stamm und Krone.

So wie der Baum in der Erde wurzelt, steht der Mensch mit den Füßen auf der Erde. So wie der Baum sich senkrecht gen Himmel aufrichtet, steht und geht der Mensch mit aufgerichteter Wirbelsäule. Und so wie der Baum seine Kopfkrone in den Luftraum ausbreitet und nach oben wächst, so zeigt sich der Mensch mit Hilfe der ausgreifenden Arme.



Es ist das Stehen zwischen Himmel und Erde, welches Menschen und Bäume auf körperlicher Ebene verbindet.

 

In Dichtung und Kunst drückt sich dies in der Vermenschlichung von Bäumen und umgekehrt in der „Verbäumlichung“ von Menschen aus. ln der Sprache der Alltagskommunikation sind verschiedene Ausdrücke gebräuchlich, die ebenfalls an genau dieser Gleichartigkeit ansetzen: „Ein Mann wie ein Baum“, in einer sozialen Gruppe „verwunzelt sein“, „aus gleichem Holz (geschnitzt) sein“. Darin zeigt sich, dass die körperliche Spiegelung im Baum mehr oder weniger bewusst praktiziert wird und den Baum damit zu einem Ursymbol für den Menschen macht.

Hildegard Marcus trifft in ihrem Buch „Baum und Mensch. Lebenssymbole zwischen Natur, Gestalt und Geist“ bezüglich der Gestaltsymbolik „Baum-Mensch“ genaue Unterscheidungen. Nach ihrer Auffassung bilden Wurzel, Stamm und Krone einen Zusammenhang, der nur als Einheit lebensfähig ist. Alle Drei brauchen einander: Die Wurzel das Sonnenlicht aus dem Fächer der Krone, die Krone die Energien (Wasser und Mineralien) aus der Tiefe des Wurzelstocks. Der Stamm verbindet die beiden ähnlich geformten Verzweigungen. Jedes der drei Elemente ist mit Bedeutungen belegt, die die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede von Menschen und Bäumen markieren.

 

So steht der Wurzelbereich für die Seele, das Unbewusste, das Gefühl und die Sensibilität. Für weibliche, dunkle, mütterlich-nährende Qualitäten, oder für das Yin, die Essenz. Hinter oder unter der äußerlich sichtbaren Wirklichkeit gibt es etwas Geheimnisvolles, nicht genau Fassbares, welches das Wesen des lndi-viduums ausmacht. Das Bewusstsein, die Erinnerung der Wurzeln, Hintergründe und dunklen Bereiche wird häufig als Voraussetzung für die Weiterentwicklung des individuellen Lebens, auch des menschlichen Lebens gesehen. An dieser Vorstellung setzen die Forschungen verschiedener Wissenschaften an, von der Evolutionstheorie bis hin zur Psychologie.

Das Bewusstsein des (mütterlichen, tiefen, dunklen) Ursprungs ist für den Menschen ebenso wichtig wie das Bewusstsein des Erwachsen-Werdens, Entwickelns, Sich-Veränderns. Es ist Nährstoff und inhaltliche Vorgabe zugleich für neue Wege. Die Wurzel ist die Essenz, das Yin des Lebens in der Persönlichkeitsstruktur. Der Baumstamm bildet das stabile Gerüst und den Kanalfür das gegenläufige Strömen von Wasser (von unten nach oben) und Nährstoffen (von oben nach unten). Er symbolisiert die Grundausrichtung natürlich wachsenden Lebens, den Verbindungskanal zwischen dunklem Wurzelbereich und lichter Krone. Er ist die Energiebahn zwischen den ausladenden Bereichen der Wurzel und der Krone. Viele Gemeinsamkeiten und Parallelitäten, aber auch Unterschiede sind im Vergleich zum Menschen auch hier zu erkennen.



Das Gerüst des Menschen bildet die Wirbelsäulen die das Geradestehen im Leben symbolisiert.

 

Mit dem in ihr verborgenen Rückenmark bildet sie die Lebenskanal-Verbindung zwischen Beckenregion und Kopf, die die Steuerung wichtiger Körperfunktionen über das Gehirn möglich macht. Wirbelsäule wie Stamm geben dem Lebewesen seine Stabilität und charakteristische vertikale Form. Sie sind aber auch Voraussetzung des Wachstums. Wie beim Baum der tragende Stamm unentbehrlich für das Wachstum und das Tragen von Früchten ist, setzt die gesunde körperliche Entwicklung des Menschen mit seiner Geisteshaltung die im Nervensystem verankerte Sinneswahrnehmung voraus, deren Übermittlungsleitung die Wirbelsäule ist.

Und so hängt unsere Vorstellung von einem Baum und von einem Menschen gleichermaßen ganz wesentlich vom Eindruck des aufrechten Stehens ab. Abweichungen in der Balance werden automatisch als Störungen des Gleichgewichts, als Anzeichen von Krankheit gedeutet. So kann ein Baum, der permanent heftigen Winden aus einer bestimmten Himmelsrichtung ausgesetzt ist, diesem Einfluss nachgeben und seinen Stamm und die Kronenäste der Windrichtung anpassen. Und so wird ein Baum, der nur von einer Richtung Licht erhält, seinen Wuchs eben dieser Richtung anpassen, auch wenn damit eine Verdrehung oder Biegung des Stammes verbunden sein mag. Der Baum, sowie viele Menschen sind auch auf starke Erdstrahlen, Verwerfungen und Adern empfindlich. Beobachtet ein Mensch solche Wuchsformen, so projiziert er sich in den Baum hinein, es entsteht automatisch eine Form von Empathie, die die gemeinsamen Wurzeln aller Lebewesen deutlich macht.



„So wie der Baum sein Wachstum den Umwelteinflüssen angepasst hat, um weiter leben und sich in seiner lndividualität entwickeln zu können, so bin auch ich ständig zu um zu einem für mich stimmiqen Gleichqewicht zu kommen“

 

Der Vergleich zwischen der Krone und dem menschlichen Kopfbereich scheint auf den ersten Gemeinsamkeit. Zeigen sie doch rein formmässig ein anderes Bild: Menschenköpfe sind kompakt und im Verhältnis zum Rest des Körpers relativ klein, die Baumkrone dagegen rundum ausgebreitet und der größte sichtbare Teil des Baumes. Auch geht der Körperstamm beim Menschen nicht direkt in den Kopf über, dieser ist vielmehr durch den Hals in seiner Beweglichkeit optimiert und auch anders als der Baum durch die Sinnesorgane primär nach vorne hin ausgerichtet. lm Hintergrund betrachtet sind ganz interessante Ahnlichkeiten feststellbar. So stellt das Gehirn eine extrem verästelte Struktur von Nervenfasern dar, die mit der Struktur einzelner Nervenzellen Ahnlichkeiten finden.



Die Äste der Bäume sind die Antennen, die die geistig-mentalen Schwingungen empfangen und weiterleiten.

Verwandtschaft lebendiger Wesen

 

Aus Märchen, Erzählungen, esoterischen Romanen, der Bilder und der tänzerischen Kunst kennen wir die vielgestaltigen Naturwesen, unter denen die Elfen, Feen und Zwerge sicherlich die Bekanntesten darstellen. ln den Texten, aber auch in bildlichen lllustrationen und schauspielerischen Darstellungen wird ihre Gestalt plastisch. Und obwohl die meisten Menschen in realer noch nie ein Naturwesen wirklich gesehen haben, glauben doch die meisten zu wissen, wie solche Wesen aussehen.

Unabhängig davon, ob der Einzelne an die tatsächliche Existenz solcher Wesen glauben mag oder nicht, Menschen haben zweifellos ein großes Bedürfnis, die sie umgebende Natur, und darin besonders auch die vordergründig stummen Pflanzen als Lebenspartner ernst zu nehmen. Sie sehen sie nicht nur wie sie selber wachsen und sich im Laufe der Zeit physisch verändern, sondern ebenso auch eine Seele besitzen, die ihrem Leben lnhalt und Sinn verleiht. Wenn wir auf Spaziergängen beispielsweise immer wieder einen bestimmten Baum aufsuchen, zu dem wir uns hingezogen fühlen, dann setzt das die stillschweigende und meist sicherlich nicht bewusst gewordene Annahme voraus, dass sowohl das Baumwesen uns, als auch wir dem Baumwesen etwas „zu sagen“ haben.

„Die Vorstellung, dass Bäume wie Menschen fühlen, findet sich auch im keltischen und germanischen Mythos. Es ist eine Folge der Übertragung von Eigenschaften zwischen Menschen und Bäumen. Der Lebensbaum überträgt seine Vitalität, seine Erneuerungskraft und Fruchtbarkeit auf den Menschen. lm Gegenzug werden ihm menschliche Leidensfähigkeit und menschliche Empfindungen zugeschrieben. Es ist die Symbiose von Mensch und Baum, die in dieser Verflechtung von Charakter und Eigenschaften zum Ausdruck kommt.“

Zahlreiche Veröffentlichungen zum sogenannten ,,Keltischen Baumkreis“ setzen an belegten historischen Wahrheiten an, nämlich der unzweifelhaften Bedeutung bestimmter Baumarten für die spirituelle Praxis der Kelten.